Achtung, Sonderstatus! Oder warum manche Elter...
Achtung, Sonderstatus! Oder warum manche Eltern ihre Kinder beim Anblick eines Rollstuhlfahrers fast in Deckung reißen
Achtung, Sonderstatus! Oder warum manche Eltern ihre Kinder beim Anblick eines Rollstuhlfahrers fast in Deckung reißen
2. Februar 2025
Manchmal frage ich mich, ob ich vielleicht unbewusst einen Panzer statt eines Rollstuhls fahre. Anders kann ich mir gewisse Reaktionen einfach nicht erklären.
Jüngstes Beispiel: Ich bin an einem Vater mit seiner Tochter vorbeigefahren. Teenager-Alter, also alt genug, um eine selbstständige Entscheidung darüber zu treffen, ob sie bei fast drei Metern Abstand vielleicht lieber einen Sicherheitstunnel graben sollte oder nicht. Ich fuhr ganz normal vorbei – keine halsbrecherischen Stunts, keine Explosionen, keine plötzlichen Richtungswechsel. Und trotzdem: Der Vater tat, was viele tun. Zack! Ein instinktiver Schultergriff, ein panisches Zurückziehen der Tochter, als wäre ich ein unkontrollierbares Naturereignis.
Auf meine völlig entspannte Bemerkung, dass das doch gar nicht nötig sei, kam die Antwort: „Ich wollte nur Platz machen.“
Ach so, natürlich! Weil drei Meter Abstand ja fast nichts sind. Wäre ja auch wirklich zu riskant gewesen, das Kind einfach so stehen zu lassen. Schließlich weiß man nie, ob Rollstuhlfahrer heimtückische Magnetfelder um sich herum erzeugen, die ahnungslose Fußgänger ansaugen.
Und genau hier liegt das Problem: Diese übertriebene Reaktion des Vaters überträgt sich direkt auf das Kind. Was lernt die Tochter daraus? Wenn ein Mensch mit Handicap kommt, dann gilt: Sofort zurückweichen! Bloß nicht im Weg stehen! Platz machen, als ob jemand mit Blaulicht und Martinshorn angerollt kommt.
Das ist kein Einzelfall. Ich erlebe es immer wieder – bei Eltern mit kleinen Kindern, bei Eltern mit Teenagern und teilweise sogar bei den Teenagern selbst, wenn sie in Gruppen unterwegs sind. Sobald ein Rollstuhlfahrer auftaucht, wird panisch Raum geschaffen, als würde ich mit einer Ladung radioaktiven Materials um die Ecke biegen.
Kurioserweise passiert das bei anderen Fußgängern nicht. Wenn zwei Menschen auf einem Gehweg drei Meter Abstand haben, ruft auch niemand hektisch: „Achtung, Platz machen, da kommt jemand auf zwei Beinen!“ Aber sobald Räder im Spiel sind, scheint sich das Verhältnis von Raum und Zeit dramatisch zu verändern.
Was mich daran so nervt? Dieses Verhalten signalisiert, dass Menschen mit Behinderung immer noch als etwas Besonderes betrachtet werden – und nicht im positiven Sinne. Es fühlt sich an, als hätte ich unsichtbare Neonbuchstaben auf der Stirn:
„Achtung, Sonderstatus!“
„Vorsicht, nicht berühren!“
„Bitte Abstand halten – könnte ansteckend sein!“
Und nein, es geht mir nicht darum, dass jeder Mensch perfekt im Umgang mit Menschen mit Behinderung sein muss. Aber ein bisschen gesunder Menschenverstand und Beobachtungsgabe wären schon nett. Vielleicht einfach mal durchatmen und sich fragen: Ist das jetzt wirklich nötig? Oder reagiere ich gerade nur auf meine eigene Unsicherheit?
Denn genau da liegt der Knackpunkt: Diese Unsicherheit wird weitergegeben, oft unbewusst, von Generation zu Generation. Wenn Eltern ihren Kindern beibringen, dass der Umgang mit Menschen mit Handicap eine komplizierte Sonderregelung erfordert, dann bleibt das in den Köpfen hängen. Und irgendwann wundert sich dann niemand mehr, warum Inklusion in Deutschland so schleichend vorangeht wie ein verrosteter Rollstuhl ohne Räder.
Also, liebe Eltern (und alle anderen, die sich angesprochen fühlen): Bekommt bitte eure Ängste in den Griff. Sonst sitzen sie irgendwann mit euch im Rollstuhl. Und glaubt mir, das ist echt nicht bequem.
Lasst uns einfach normal miteinander umgehen. Ohne übertriebene Reflexe, ohne Sicherheitsabstand, ohne die unterschwellige Botschaft „Achtung, der gehört in eine andere Kategorie.“ Denn am Ende des Tages wollen wir doch alle nur eins: Uns einfach frei bewegen – ob auf Rädern oder auf zwei Beinen.
Das wollte ich mal loswerden.
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