Ein Jahr Stillstand – Erfurts Barrieren bleibe...
Ein Jahr Stillstand – Erfurts Barrieren bleiben bestehen
Ein Jahr Stillstand – Erfurts Barrieren bleiben bestehen
24. Oktober 2025
Ein Jahr ist vergangen, seit ich in meinem letzten Blog über die unhaltbare Situation rund um die Beantragung und Verlängerung des europäischen Parkausweises für Menschen mit Behinderung in Erfurt geschrieben habe. Ein Jahr, in dem sich – nichts getan hat.
Heute war ich erneut zu einer Besprechung in der Stadtverwaltung Erfurt. Wieder ging es um dasselbe Thema: die infrastrukturelle und organisatorische Barrierefreiheit bei der Ausstellung der Parkkarte. Nur die Gesichter waren diesmal andere.
Das ist ein typisches Phänomen im Bereich Inklusion: Die handelnden Personen wechseln ständig. So schnell, dass man kaum hinterherkommt. Kaum hat man jemanden mit der Problematik vertraut gemacht, ist die Person schon wieder versetzt oder ersetzt. Das bedeutet, man beginnt jedes Mal von vorn – mit denselben Erklärungen, denselben rechtlichen Grundlagen, denselben Vorschlägen. Und so entsteht Stillstand, obwohl sich die Akteure ständig ändern.
Viele der neuen Bearbeiter verfügen über theoretisches Wissen zu Inklusion und Barrierefreiheit, aber nur selten über praktische Erfahrung oder Betroffenenperspektive. Auch in der heutigen Besprechung saßen wieder neue Gesichter am Tisch – interessiert, höflich, aber ohne greifbare Ergebnisse.
Ich habe das Thema inzwischen bis zum Dezernenten des Oberbürgermeisters getragen, um Bewegung in die Sache zu bringen. Doch das Ergebnis ist ernüchternd. Wie in einem schlechten Asterix-und-Obelix-Sketch – Stichwort „Passierschein A38“ – wird das Problem von einer Verwaltungsebene zur nächsten weitergereicht, bis es am Ende bei einer beratenden Stelle landet, die keinerlei Entscheidungsbefugnis hat.
Gespräch über den Maßnahmenplan zur Inklusion
In der heutigen Besprechung wurde auch der geplante Maßnahmenplan zur Inklusion der Stadt Erfurt angesprochen, der sich aktuell noch in der Abstimmungsphase befindet und erst durch den Stadtrat beschlossen werden muss.
Ich wurde eingeladen, meine Expertise als betroffene Person einzubringen – was grundsätzlich ein richtiger Schritt wäre.
Doch das Gespräch zeigte erneut das eigentliche Problem: Es fehlt nicht an Wissen, sondern an der Fähigkeit, dieses Wissen in pragmatisches Handeln zu übersetzen.
Man hört zu, notiert, verweist auf Zuständigkeiten – und bewegt sich keinen Millimeter. Selbst einfachste organisatorische Lösungen wie ein Bürotausch oder eine Antragserleichterung bleiben unerreichbar.
Trotzdem habe ich mich bereit erklärt, meine Expertise weiterhin in diesen Prozess einzubringen. Denn theoretisch kann der Maßnahmenplan zur Inklusion ein wichtiges Instrument werden, um die Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) auf kommunaler Ebene verbindlich umzusetzen. Praktisch ist er derzeit nur ein Entwurf ohne Wirkung.
Rechtliche Grundlage – und was Erfurt dagegen tut
Die Rechtslage ist eindeutig.
Deutschland hat 2009 die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert.
Artikel 9 verpflichtet Bund, Länder und Kommunen, Barrieren abzubauen und gleichberechtigten Zugang zu öffentlichen Gebäuden, Verfahren und Dienstleistungen zu gewährleisten.
Diese Verpflichtung wird im nationalen Recht konkretisiert:
-
§ 4 Behindertengleichstellungsgesetz (BGG): Barrierefreiheit bedeutet, dass öffentlich zugängliche Lebensbereiche ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe nutzbar sind.
-
§ 8 Abs. 1 SGB IX: Öffentliche Stellen haben die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderung aktiv zu fördern.
-
§ 50 Thüringer Inklusionsgesetz (ThürIGInklG): verpflichtet Behörden, ihre baulichen, organisatorischen und kommunikativen Strukturen barrierefrei zu gestalten.
-
§ 46 StVO i. V. m. der VwV-StVO: regelt, dass Verwaltungsleistungen – wie die Ausstellung des europäischen Parkausweises – diskriminierungsfrei zugänglich sein müssen.
Dass in Erfurt weiterhin Menschen mit Mobilitätseinschränkungen gezwungen sind, ihre Anträge in einem nicht barrierefreien Gebäude zu stellen, widerspricht diesen Normen und verletzt geltendes Recht.
Was Bund und Land längst beschlossen haben
Während Erfurt noch diskutiert, liegen auf Bundes- und Landesebene längst klare Zielvorgaben vor.
Der Nationale Aktionsplan 2.0 (NAP 2.0) des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales beschreibt die Umsetzung der UN-BRK in Deutschland.
Zentrale Leitlinien sind:
-
Inklusion als Prinzip in allen Lebensbereichen verankern,
-
Barrieren systematisch abbauen – baulich, digital und organisatorisch,
-
Teilhabe am Arbeitsleben und in der Verwaltung sichern,
-
und Betroffene verbindlich in die Planung einbeziehen („Nothing about us without us“).
Auch das Land Thüringen hat in seinem Landesaktionsplan zur UN-Behindertenrechtskonvention diese Grundsätze übernommen. Dort heißt es ausdrücklich, dass
„öffentliche Einrichtungen, Behörden und Kommunen Barrierefreiheit als Querschnittsaufgabe verstehen und ihre Verfahren, Gebäude und Kommunikationswege entsprechend anpassen müssen.“
Diese politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen sind also vorhanden. Es fehlt lediglich an deren Umsetzung – insbesondere auf kommunaler Ebene.
Verwaltung ohne Verantwortung
Die Stadtverwaltung Erfurt verfügt über mehrere Personen, die sich mit dem Thema Inklusion befassen. Trotzdem wird seit Jahren kein Fortschritt erzielt.
Der Vorschlag, die Anträge auf den europäischen Parkausweis in ein barrierefreies Gebäude – etwa den Bürgerservice – zu verlagern, liegt seit Langem vor.
Ein einfacher Bürotausch oder ein digitales Antragsverfahren könnten das Problem sofort lösen. Doch nichts davon geschieht.
Ich habe in der heutigen Besprechung erneut darauf hingewiesen, dass hier nicht nur moralisch, sondern rechtlich gehandelt werden muss. Die anhaltende Untätigkeit verletzt die UN-BRK, das BGG und das Thüringer Inklusionsgesetz gleichermaßen.
Symbol der Bürokratie
Es ist bitter, dass sich Menschen mit Behinderung in Erfurt noch immer fühlen müssen, als stünden sie vor dem legendären „Haus, das Verrückte macht“. Die Stadt schafft es nicht, ein einfaches Verwaltungsverfahren barrierefrei zu gestalten.
Diese Untätigkeit ist kein Einzelfall, sondern steht exemplarisch für die Diskrepanz zwischen politischen Absichtserklärungen und praktischer Umsetzung.
Fazit
Die UN-BRK ist geltendes Recht, kein unverbindliches Leitbild. Wenn Verwaltungen Menschen mit Behinderung weiterhin den Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen erschweren, ist das kein Missverständnis, sondern ein struktureller Rechtsbruch.
Ich werde meine Expertise weiterhin in den Erfurter Maßnahmenplan zur Inklusion einbringen. Aber Expertise allein baut keine Rampe und öffnet keine Tür.
Dafür braucht es Verantwortliche, die handeln – nicht nur reden.
Der europäische Parkausweis bleibt damit ein Symbol für den Zustand der Inklusion in Deutschland: viel Papier, wenig Praxis.

0 Kommentar(e)